Der Punkt oben links steht für A, die beiden oberen für C und die vier Punkte für 7. Wer die Braille-Schrift beherrscht, kann jede Schrift der Welt entziffern, ohne sie sehen zu müssen. Das ist nicht nur aus Sicht der Lese- und Schreibfähigkeit wichtig, sondern auch entscheidend, wenn sich blinde Menschen im öffentlichen Raum zurechtfinden müssen. Auch für Verpackungen, insbesondere für hochsensible Produkte wie Arzneimittel, ist es entscheidend. So schreiben heutige EU-Vorschriften vor, dass diese 64 verschiedenen Zeichen zusätzlich auf der Verpackung gekennzeichnet werden müssen. Doch wie kam es zu dieser innovativen Erfindung?
Auf sechs Punkte reduziert
Im zarten Alter von sechs Jahren begegnete der Namensgeber der weltberühmten Figuren, Louis Braille, in Paris einem Hauptmann. Dort lernte der blinde Junge die „Nachtschrift“ kennen – ein Lesesystem aus taktilen Zeichen. Mithilfe von zwölf in zwei Reihen angeordneten Punkten konnten den Truppen im Dunkeln Befehle übermittelt werden. Für längere Texte erwies sich dieses System jedoch als zu kompliziert. Braille reduzierte die Anzahl der Punkte auf sechs und erfand damit die heutige Brailleschrift, mit der sich Schriftzeichen, mathematische Gleichungen und sogar Noten in diese taktile Sprache übersetzen lassen.
Erklärtes Ziel der EU ist es, Alltagsbarrieren für Blinde und Sehbehinderte abzubauen. Neben sehbehindertengerechten Verkehrsschildern an öffentlichen Orten wie Behörden oder im öffentlichen Nahverkehr schreibt die seit 2007 geltende Richtlinie 2004/3/27 EG vor, dass der Arzneimittelname in Brailleschrift auf der äußeren Verpackung von Arzneimitteln angegeben werden muss. Ausgenommen sind lediglich Mikropackungen von maximal 20 ml bzw. 20 g, Arzneimittel mit einer jährlichen Stückzahl von weniger als 7.000 Einheiten, niedergelassene Naturheilkundler und Arzneimittel, die ausschließlich von medizinischem Fachpersonal verabreicht werden. Auf Anfrage müssen Pharmaunternehmen sehbehinderten Patienten auch Packungsbeilagen in anderen Formaten zur Verfügung stellen. Als weltweit am häufigsten verwendeter Standard gilt hier die Schriftgröße „Marburg Medium“.
Wverhältnismäßig zusätzlicher Aufwand
Natürlich sind aussagekräftige Braille-Beschriftungen auch mit Arbeits- und Kostenaufwand verbunden. Zum einen müssen Drucker wissen, dass nicht alle Sprachen die gleichen Punkte haben. Die Punktkombinationen für %, / und Punkt sind in Spanien, Italien, Deutschland und Großbritannien unterschiedlich. Zum anderen müssen Drucker beim Prägen oder Drucken spezifische Punktdurchmesser, Versätze und Zeilenabstände berücksichtigen, um die Ertastbarkeit der Braille-Punkte zu gewährleisten. Designer müssen dabei aber auch stets die richtige Balance zwischen Funktion und Optik finden. Schließlich dürfen erhabene Flächen die Lesbarkeit und Optik für nicht sehbehinderte Menschen nicht übermäßig beeinträchtigen.
Das Anbringen von Braille auf Verpackungen ist kein einfaches Problem. Denn an die Prägung der Brailleschrift werden unterschiedliche Anforderungen gestellt: Für eine optimale optische Wirkung sollte die Prägung der Brailleschrift schwach sein, damit das Kartonmaterial nicht reißt. Je stärker die Prägung, desto größer das Risiko, dass der Karton einreißt. Für blinde Menschen wiederum ist eine gewisse Mindesthöhe der Braillepunkte notwendig, damit sie den Text gut mit den Fingern ertasten können. Daher ist das Anbringen von Prägepunkten auf Verpackungen immer ein Balanceakt zwischen ansprechender Optik und guter Lesbarkeit für Blinde.
Digitaldruck erleichtert die Anwendung
Bis vor wenigen Jahren wurde Braille noch gedruckt, wofür ein entsprechendes Prägewerkzeug hergestellt werden musste. Dann kam der Siebdruck auf – dank dieser ersten Entwicklung benötigte die Branche lediglich eine Siebdruckschablone. Die eigentliche Revolution wird jedoch erst der Digitaldruck bringen. Braille-Punkte lassen sich heute nur noch per Tintenstrahldruck und Lack erzeugen.
Dies ist jedoch nicht einfach: Voraussetzungen sind gute Düsendurchflussraten und optimale Trocknungseigenschaften sowie eine hohe Druckgeschwindigkeit. Darüber hinaus müssen die Tintenstrahlen Mindestgrößen erfüllen, gut haften und schleierfrei sein. Die Auswahl der Druckfarben/-lacke erfordert daher viel Erfahrung, die mittlerweile von vielen Unternehmen der Branche erworben wird.
Es gibt gelegentlich Forderungen, die obligatorische Anbringung von Braille auf bestimmten Verpackungen aufzuheben. Manche meinen, diese Kosten könnten durch elektronische Etiketten eingespart werden. Sie argumentieren, dass dadurch auch Nutzer, die weder Buchstaben noch Braille beherrschen, wie beispielsweise ältere Menschen mit langjähriger Sehbehinderung, die gewünschten Informationen erhalten könnten.
Ende
Bisher gibt es bei Verpackungen in Brailleschrift noch viele Probleme, die wir lösen müssen. Wir werden unser Bestes tun, um bessere Verpackungen in Brailleschrift für die Menschen herzustellen, die sie brauchen.Vielen Dank fürs Lesen!
Veröffentlichungszeit: 10. Juni 2022




